Wissen und Weisheit
Die Götter schufen die Welt nach ihrem Willen.
Sie ist wie ein Buch, in das sie ihre Wünsche geschrieben haben.
Sie lächeln, wenn wir darin lesen.
– Milirischer Priester –
Seid ohne Sorge, Junge Dame. Ihr könnt nichts Unrechtes tun, wenn Ihr beobachtet, nachdenkt und forscht. Es ist der Wunsch der Götter, dass Ihr so handeln mögt. Sie gaben dem Herzen des Menschen ein, nach dem Wissen zu streben und sein Erkennen bis an jene Grenze zu schieben, die sie uns zu unserem eigenen Wohl gesetzt haben.
Ihr wollt diese Grenze ertasten?
Das ist leicht. Füllt einen Kessel mit Wasser, hängt ihn über ein Feuer. Rasch wird das Wasser zu Dampf und steigt auf.
Legt einen Deckel auf den Topf. Ihr seht, dass der Dampf nach oben strebt und schließlich den Deckel anheben wird. Das liegt nicht nur daran, dass er himmelwärts aufsteigt, sondern auch an dem Umstand, dass er nach mehr Platz verlangt als das Wasser, aus dem er entstand.
Nun beschwert den Deckel mit Steinen. Es dauert länger, bis der Dampf ihn hebt, aber es geschieht noch immer.
Die Gelehrten in ihren Stuben haben Vorrichtungen, in denen sie einen Deckel so fest mit dem Kessel verschrauben können, dass der Dampf ihn nicht mehr anzuheben vermag. Nach allem, was wir wissen und beobachten, müsste sich im Innern des Behältnisses eine Kraft großer Gewalt sammeln. So groß, dass sie den Deckel schließlich mit einer Wucht davonschleudern müsste, die der eines Wurfgeschosses gleich käme.
Doch das geschieht nicht.
Der Kessel wird rumpeln und wackeln unter dem Ansturm der Kraft in ihm, und dann wird er ganz plötzlich still hängen. So ist der Wille der Götter. Wenn Ihr ihn öffnet, wird das Wasser verschwunden sein, und mit ihm auch der Dampf.
Dies widerspricht der logischen Fortführung dessen, was wir zuvor beobachteten. Zu unserem eigenen Wohl, denn welche schrecklichen Waffen ließen sich sonst von grausamen Hirnen ersinnen? Manche meinen, noch Fürchterlicheres müsse sich erreichen lassen, entzündete man eine Mischung aus Schwefel und Salpeter. Wir werden es nie erfahren, denn solches Pulver brennt nicht besser als nasses Leinen, was so manchen Gelehrten verwundert.
So jedenfalls ziehen die Krieger mit Axt, Lanze, Schwert und Bogen in die Schlacht, und auch die klügsten Köpfe ersinnen nichts Verderblicheres als eine Armbrust oder ein Katapult. Wer es sich leisten kann, panzert sich in Eisen, doch der gewöhnliche Kämpfer dient seinem Fürsten in einer Lederrüstung.
Der schnellste Reisende ist jener, der es versteht, ein Pferd im Gelände scharf zu reiten und der die Gelegenheit hat, sein Tier mehrmals am Tag zu wechseln. Schwere Lasten dagegen transportiert man auf einem Ochsenkarren, den man zu Fuß begleiten kann, ohne allzu hurtig auszuschreiten. In Ondrien sind Schlitten häufig gesehen, in anderen Ländern reist der Adel in Kutschen. Der Seemann vertraut auf die Gnade der Götter, die gute Winde zu senden vermögen, oder auf die Muskeln seiner Besatzung, die die Ruder einer Galeere durch die Wellen ziehen.
Himmlische Wesen gewähren den Priestern Einsichten, die durch die Beobachtung der Natur nur mühsam zu erlangen gewesen wären. Geht in die Bibliothek und studiert den Atlas des Aderngeflechts im menschlichen Corpus oder Die sieben segensreichen Methoden, Felder zu wässern. Manch einem Kranken bliebe ohne dieses Wissen die Heilung verwehrt, Junge Dame, und mancher Herbst wäre ohne Ernte. Auch dass überhaupt so viele Menschen lesen und schreiben können, sollten wir nicht als selbstverständlich erachten. Nur im barbarischen Bron verachtet der Adel die Bildung, und hier bei uns können selbst die Tagelöhner nachrechnen, ob ihr Dienstherr ihnen den ausgemachten Sold in die schwieligen Hände zählt.
Ja, richtet den Blick zum Himmel. Es sind die Sterne, deren Zug die Zeitalter prägt, und die drei Monde bestimmen unsere Nächte so stark wie die Sonne unsere Tage. Wenn sich alle drei Monde in vollem Licht treffen, ziehen sie mit großer Kraft Erde und Wasser zu sich. Dann gibt es oft Erdbeben und Springfluten. Noch stärker ist dieser Effekt, wenn sie gleichzeitig im Neumond stehen.
Seid Ihr nicht zu jung für Fragen nach der dunklen Kunst? Heute mag ich sie Euch nicht beantworten, Junge Dame. Aber ja, es stimmt. Je heller die Monde ihr Licht auf die Welt gießen, desto stärker dämpfen sie die Magie. Diejenigen unter den Menschen, die nicht nur wissend, sondern auch weise sind, teilen ihren Widerwillen gegen die finstere Kunst, und auch Ihr solltet ihn Euch zu Eigen machen, denn dies ist der größte Segen der drei Monde.
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